Ich erinnere mich an einen Freitagnachmittag im Sommer, als wir direkt nach der Schule an den Strand gingen. Einige andere Familien aus der Schule kamen auch mit. Es war ein perfekter Tag: Die Sonne schien, aber es war nicht zu heiß, das türkisfarbene Wasser brach in kleinen, kinderfreundlichen Wellen auf den weißen Sand, eine ganz leichte Brise wehte von den Dünen herüber, um uns die Temperatur angenehm zu machen… es war herrlich. Die Kinder, die sich nach einem langen Schultag die Beine vertreten und sich frei bewegen wollten, rannten herum, spielten Fange, plantschten im Wasser oder buddelten im Sand. Sie hatten eine tolle Zeit, und wir, die Eltern, auch. Wir konnten uns entspannen und unterhalten, während wir auf die jüngeren Kinder aufpassten und diesen wunderbaren Moment genossen. Die Kinder kamen immer wieder her, um kurz bei uns zu sein, etwas Wasser zu trinken oder ein paar Snacks zu holen. Pure Freude!
Plötzlich begann ein kleines Mädchen, das zu einer Familie gehörte, die in der Nähe saß, ihren Vater anzuschreien und dann herzzerreißend zu weinen. Sie war ungefähr 4 Jahre alt. Was war passiert? Es stellte sich heraus, dass ihr Vater ihrem älteren Bruder die Hälfte ihrer allerletzten Pistazie gegeben hatte, ohne sie zu fragen. Jetzt waren keine Pistazien mehr da, und sie fühlte sich enttäuscht, traurig und übergangen. Ihr Vater war überrascht (und etwas verlegen), wie sie aus so einer Lappalie ein solches Drama verursachen konnte. Also fing er an, die Sache herunterzuspielen und sein Tun zu rechtfertigen, indem er Dinge sagte wie "Komm schon, es war doch nur eine halbe Pistazie, da muss man doch nicht so ein Theater veranstalten!" und „Jetzt hör aber auf, es ist wichtig, dass du lernst, mit deinem Bruder zu teilen.“ und “Du kannst dafür von dem Apfel haben.” etc. Daraufhin schlug ihr Gefühl, ignoriert und nicht ernst genommen zu werden, in Empörung und Wut um. Jetzt fing sie erst recht an, ihn anzubrüllen. Die Leute begannen schon, in ihre Richtung schauen, um zu sehen, ob alles OK war. Ihre Eltern empfanden ihre Reaktion übertrieben und völlig inakzeptabel, der Radau wurde ihnen aber jetzt auch zunehmend peinlich. Alle ihre sehr menschlichen Versuche – vom Beschwichtigen über Drohungen wie „Wenn du nicht aufhörst, gehen wir SOFORT nach Hause!“, bis hin zu „Merkst Du nicht, dass Dich schon alle anschauen“ – halfen nicht. Sie packten schließlich genervt ihre Sachen zusammen und stapften davon in Richtung Parkplatz, was dem Mädchen zu den turbulenten Emotionen, die sie durchmachte, auch noch das Gefühl der Schuld hinzufügte. Und nichts war gelöst, die schlechte Laune hat sicher noch eine Weile über ihnen gehangen und den Nachmittag vergiftet. All das wegen einer winzigen, halben Pistazie!!! Aber das Ganze hat natürlich nichts mit dem Objekt als solchem oder seiner Größe zu tun.
Wie hätte ihr Vater anders reagieren können? Die Hälfte ihrer letzten Pistazie ihrem bettelnden Bruder zu geben, war dem gegenüber zwar gut gemeint, aber natürlich respektlos (oder zumindest unachtsam), denn er hätte sie vorher fragen sollen – so wie man es bei einem Erwachsenen auch tun würde. Als ihm klar wurde, dass seine Aktion so viel Kummer in ihr auslöste, hätte er, anstatt sich selbst wie ein kleines Kind zu verhalten (seine Handlungen zu rechtfertigen und sie zu tadeln), tief Luft holen und trotz der scheinbaren Trivialität der Angelegenheit seine Empathie zum Ausdruck bringen können und sich bei ihr entschuldigen. So wie er es sicher getan hätte, wenn er bei einem anderen Erwachsenen eine ähnliche Reaktion ausgelöst hätte. Er hätte zugeben können, dass er nicht wusste, wie sehr sie diese Pistazien liebte. Wie er das unterschätzt und damit einen Fehler gemacht hatte, indem er die letzte ungefragt mit ihrem Bruder teilte. Dann hätte er ihr sagen können, dass er es aufrichtig gut gemeint hatte, weil er das Teilen unter Geschwistern für wichtig hält, aber natürlich hätte er sie zuerst fragen sollen. Ich bin mir sicher, dass sie sich sofort beruhigt hätte, denn das ist die natürliche Reaktion eines Kindes, das sich verstanden fühlt. Und dann hätten sie gemeinsam eine Lösung für den nächsten Schritt finden können, in Akzeptanz der Tatsache, dass eine gegessene Pistazie nicht zurückgebracht werden kann, und dass wir alle Fehler machen – aber jetzt fühlt sich niemand mehr schuldig, und jeder hat etwas gelernt (Vater eingeschlossen!) und die Sache ist gelöst. Und sie hätten diesen schönen Nachmittag am Strand weiter genießen können.
Es geht also darum, Empathie (sich selbst und Ihrem Kind gegenüber) zu zeigen, wenn die Dinge nicht nach Plan laufen. Sich mit seinen Kindern wirklich erwachsen zu verhalten, so wie Sie es auch gegenüber einem anderen Erwachsenen, dem Sie vertrauen und den Sie respektieren, tun würden. Mit gutem Beispiel vorangehen, denn so lernen Kinder von uns! Also fragen, bevor wir etwas nehmen. Unsere Gefühle und Bedürfnisse authentisch kommunizieren. Einen Fehler, den wir machen, eingestehen und die Verantwortung dafür übernehmen. Probleme respektvoll in der Diskussion lösen statt andere zu beschuldigen oder einzuschüchtern.
Ich nenne das authentisches Elternsein.
Wenn Sie Feedback, Fragen oder Vorschläge haben, oder Ihre eigenen Erfahrungen mit mir teilen oder besprechen möchten, würde ich mich riesig freuen, von Ihnen zu hören!
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